Wahlkampf, Migration und Zahnärzte - Tobias West - Du Land der Bayern

Wahlkampf, Migration und Zahnärzte

Merz im September – Wahlkampf, Migration und Zahnärzte

von Tobias Wesp

Man kann nicht behaupten, dass die Kalkulation von Friedrich Merz nicht aufgegangen wäre. Er hat einen Satz über die medizinische Versorgung von Zuwanderern geäußert und dafür sofort die erwartbaren wütenden Reaktionen von Presse und politischem Gegner geerntet, die diesem Satz maximale Verbreitung und Wirkung verschaffen:

„Die [abgelehnten Asylbewerber] sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termin.“

Friedrich Merz

Die Bewertungen aus der Fachwelt waren durchmischt

Viele Ärzte haben bestätigt, dass Termine schwerer zu bekommen sind, ebenso einige Kommunalpolitiker in Gemeinden mit großen Asylunterkünften. Andere wollten sich nicht so deutlich äußern und haben auf allgemeine Probleme im Gesundheitswesen verwiesen. Die üblichen politischen Protagonisten haben gleich Hass, Hetze und Spalterei ausgemacht.

Will Friedrich Merz nun also medizinische Leistungen für Asylbewerber und sonstige Migranten streichen? Sollen diese in Schmerz, Krankheit und Siechtum vor sich hin vegetieren, wenn sie das Land nicht verlassen wollen?

Natürlich nicht, es ist einfach Wahlkampf

In Bayern und Hessen, also in zwei nicht ganz unwichtigen Bundesländern. Hessen hat eine schwarz-grüne Regierung, Bayern bekommt wahrscheinlich eine solche, wenn die Freien Wähler der CSU zu stark und damit zu lästig werden. Da muss man sich als Union freilich schon mal etwas absetzen.

Teilweise wird nun in Frage gestellt, dass Migranten die Unannehmlichkeiten der Übersiedlung – Zahlungen an Schleuser, risikoreiche Überfahrt, Sammelunterkunft – auf sich nehmen würden, nur um schöne Zähne zu bekommen. Hieraus spricht freilich eine gewisse mitteleuropäische Wohlstandsarroganz, die medizinische Versorgung für so selbstverständlich hält, dass sie nichts Besonderes oder Erstrebenswertes sein kann.

Pull-Faktoren gibt es ohne Zweifel und ein wesentlicher davon ist der hiesige Lebensstandard.

Dazu gehören natürlich auch ärztliche Dienste, aber ebenso Geldzahlungen, deren Umwandlung in Sachleistungen seit Jahren immer wieder diskutiert wird. Und selbstverständlich sind auch die vielen Mythen über das Schlaraffenland Deutschland, wonach jeder Einwanderer sofort mit Haus, Auto und beliebigem Luxus ausgestattet werde, ein Pull-Faktor. Es ist nicht die Zahnreinigung, die die Menschen anzieht, es ist das Gesamtpaket – das reale und das imaginäre.

Will man das ändern, muss man auch mit diesen Mythen aufräumen.

Man muss in den Herkunftsländern der überwiegenden Migrationsströme verbreiten, wie das echte Leben in deutschen Aufnahmeheimen ist. Und das könnte man, wenn man wollte. Denn auch in diesen Ländern gibt, man höre und staune, das Internet mit seinen zahllosen Informationskanälen.

Wenn bspw. Richard Progl (Bayernpartei) gerade verlauten ließ, dass eine Umstellung auf Sachleistungen keinen wirklich Bedürftigen in Not stürzt, aber falsche Anreize verhindert, dann spricht damit im Grunde nur den politischen Konsens aus. Ebenso wäre seine Forderung, Asylbewerber zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten, in vielerlei Hinsicht begrüßenswert: Ein solches Vorgehen schreckt diejenigen ab, die kein Interesse an Arbeit haben. Es verwehrt aber niemandem Schutz, wenn er ihn wirklich braucht. Es sichert notwendige Dienste für die Allgemeinheit. Es baut Vorurteile über angeblich faule Zuwanderer ab.

Dass die Ampel oder die bayerische Staatsregierung die Idee übernehmen, ist dagegen kaum anzunehmen. In Bayern liegt es nächsten Sonntag am Wähler, ein Zeichen zu setzen.

Friedrich Merz liegt mit seinem Lamento über ärztliche Terminproblematiken zugegebenermaßen auch nicht falsch. Aber er ist unehrlich, weil er eben nicht an die Symptome geht. Eine, man verzeihe das Wortspiel, richtige Wurzelbehandlung in dieser Hinsicht haben CDU und CSU in den vielen Jahren, in denen sie an der Macht waren, nie vorgenommen. Jetzt im Wahlkampf ist ein Sinneswandel kaum glaubwürdig – zumal ihm seine eigene Partei bereits in den Rücken fällt.

Mehr Artikel von

Landtagswahl – BR auf Abwegen
In Berlin ist der Löwe los
Unser Land ist uns wichtig
Erdinger Heizungsdemonstration
Landtagswahl – Kapitän im Ententeich

Your Comment: