BR auf Abwegen
von Tobias Wesp
Wenn in Bayern Landtagswahlen sind, kommt meist auch der Bayerische Rundfunk zur Hochform. Kandidaten werde wahlweise in den Himmel gehoben oder fallen gelassen, politische Themen werden mit einer sehr eigenen Schwerpunktsetzung in die Öffentlichkeit gebracht und am Ende ist irgendwie jeder mit seiner Darstellung unzufrieden.
Was sich der BR aber für die kommenden Landtagswahlen ausgedacht hat, lässt einen mit ungläubigem Staunen zurück. Mehrere derzeit nicht im Landtag vertretene Parteien haben sich an „Du Land der Bayern“ gewandt und einen kaum nachvollziehbaren Vorgang geschildert.
Eine Castingshow für Kleinparteien im BR?
Für die kleineren Parteien soll eine Casting-Show veranstaltet werden, mit der sich diese dem Wähler vorstellen können. Das geschieht laut uns vorliegender E-Mail, „damit auch die kleinen Parteien Sendezeit im BR bekommen“. Das ist einerseits nett, andererseits etwas befremdlich, wenn auf die Weise offenherzig zugegeben wird, dass das restliche BR-Programm für die etablierten Parteien reserviert ist.
Der genaue Ablauf soll so aussehen: „Sie als Partei/Spitzenkandidat haben etwa 1 Minute lang Zeit, Ihre Partei, Ihre politischen Vorstellungen vor einer Art Jury zu “pitchen”, danach gibt es Fragen. Es wird also Show-Charakter haben.“
Show-Charakter. An der Stelle darf man etwas misstrauisch werden. Aber unterstellen wir einfach das Beste, auch der BR darf mit der Zeit gehen und es muss nicht alles bierernst sein.
Und das Wichtigste ist ja: „Ein ungewöhnliches Format, aber wir glauben, das wird auch ziemlich Spaß machen!“ Ja, es hört sich alles sehr spaßig an.
Die gesamte Angelegenheit wird einen Vormittag lang sein, eventuell auch einschließlich Nachmittag. Also viel Zeit für eine wohl einstündige Sendung. Man kann also sehr gezielt auswählen und zusammenschneiden. Aber das passiert bei einem seriösen Sender wie dem BR bestimmt nicht.
Einige Tage später kam dann eine zweite E-Mail. Übrigens von Julia Ruhs, die aus ihrer CSU-Nähe keinen Hehl macht und sich gerne als letzte Konservative in einem linksgeprägten öffentlich-rechtlichen Rundfunk darstellt.
Ein Selfie-Vorstellungsvideo
Zur Vorbereitung der eigentlichen Sendung brauche es nun noch ein „Selfie-Vorstellungs-Video“. Und: „Dieses Selfie-Portrait sollte den Kandidaten als Menschen greifbar machen und persönlich sein. Es geht nicht um die Partei und ihre Inhalte – die pitchen Sie ja dann in der Show noch selbst. Möglich ist z.B. ein Hobby zu thematisieren.“
Das ist nun etwas ungewöhnlich. Der Kandidat und sein Hobby. Vor meinem inneren Auge entsteht ein Film mit Ministerpräsident Söder, wie er seine Gartenzwergsammlung präsentiert. Oder sogar „pitcht“.
Nun werden sich manche Politiker fragen, was sie da ungefähr produzieren sollen. Da ist Frau Ruhs freilich gleich behilflich. „Hier zwei Links von der KIKA-Serie „Dein Song“ als Orientierung – so ähnlich haben wir uns das vorgestellt!“
Information für Wähler im Kinderkanal-Format
Eine Musik-Show des Kinderkanals als Referenz. Jetzt weiß man, wo die Reise hingeht. Ganz wichtig: „Beim Filmen auch mal näher rangehen, ein Detail aufnehmen (wie z.B. beim KIKA-Video, als der Kandidat sein Essen abfilmt).“
Essen und Hobby im Kinderkanal-Format. Eine perfekte Mischung zur Information der Wähler für die Landtagswahl.
Aber wenn es um ein ernstes Anliegen wie Politik geht, sollen die Selfie-Videos zumindest qualitativ viel professioneller sein, nehme ich an.
Ja… nein. „Noch etwas: Die Selfie-Portraits sollten ohne Profi-Ausrüstung (nur Handy) oder Profi-Helfer gedreht werden. Idealerweise als Mix aus “selbst aus der Hand gedreht” und in bestimmten Szenen (z.B. wenn man in Aktion ist oder mehr Abstand zur Handykamera benötigt wird) von Familienmitgliedern, Freunden oder Kollegen gedreht.“
Ein bisschen Verwackeln schadet nicht, denn der geneigte BR-Zuschauer soll ja mitbekommen, dass hier Amateure am Werk sind. Selfie-technisch und politisch. Hochglanz gibt es dann, wenn Herr Aiwanger einen Spatenstich setzt oder Frau Schulze mal wieder das Weltklima rettet.
Von ÖDP und Bayernpartei war bereits zu hören, dass sich diese an dieser Form von Zirkus nicht beteiligen werden. Florian Weber, Landesvorsitzender der Bayernpartei: „Für Ironie sind wir jederzeit zu haben. Aber es kann nicht sein, dass die Landtagsparteien ausufernde Berichterstattung bekommen, während die Kleineren mit Trash-TV lächerlich gemacht werden. Der BR sollte einmal seine Aufgaben und sein journalistisches Ethos beherzigen.“
Was sich der Bayerische Rundfunk beim Entwurf dieses Konzepts gedacht hat und welches Ethos in der Redaktion herrscht, weiß man nicht. Aber man kann es erahnen.
Und es stellt sich die Frage, welche Berechtigung ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk eigentlich noch hat, wenn er sogar ein derart bedeutsames, zu seinen Kernkompetenzen zählendes Thema wie die Landtagswahlen in dieser Form behandelt.
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